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    Raus aus der Schweigespirale!
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Was tun Sie, wenn Sie im Alltag mit "Fehlverhalten" konfrontiert werden, wie zum Beispiel lautes Telefonieren in der Öffentlichkeit? Reden oder Schweigen?

Letzten Sonntag im Fitnessstudio: Der Herr links neben mir auf dem Crosswalker schaut genervt zu der Frau rechts neben mir auf dem Laufband rüber. Sport kann man das, was sie da macht, nicht wirklich nennen, eher spazieren auf dem Laufband. Dann klingelt ihr Handy und sie fängt an, sehr laut in einer arabisch klingenden Sprache zu telefonieren. So laut, dass ich trotz Kopfhörern kaum noch dem Sonntagstalk im TV folgen kann. "Wird ja gleich vorbei sein", sage ich mir, während mein crosswalkender Nachbar wieder und wieder strafend zu der Frau hinüberschaut. Das scheint diese allerdings weder wahrzunehmen noch zu stören. Ich nehme meine Kopfhörer ab und wende mich nach links: "Das ist echt nervig, gell?" "Ja, total. Ich bin froh, dass du das auch so empfindest. Ich denke immer, ich sei der Einzige, der sich an sowas stört." Bestätigt durch meine Zustimmung ruft er rüber zu der telefonierend gehenden Frau auf dem Laufband: "Hey, entweder leiser telefonieren oder woanders." Die Frau würdigt uns keines Blickes, spricht aber etwas leiser. Und stoppt nach einer Zeit ihr Laufband und spaziert - weiter telefonierend - in die Garderobe.

Mein fittenden Nachbar und ich kommen ins Gespräch und wir tauschen unsere Erfahrung von schlechtem Benehmen in der Öffentlichkeit aus. Und dass wir zu selten etwas sagen. Da fiel mir die Schweigespirale ein, seinerzeit erfunden von der Kommunikationswissenschaftlerin und Gründerin des Allensbach-Instituts Elisabeth Noelle-Neumann. Die Schweigespirale besagt, dass der Mensch als soziales Wesen nach Harmonie strebt und deshalb permanent sondiert, was seine Umwelt über ein bestimmtes Thema denkt. Dazu kommuniziert er mit anderen, vor allem aber benutzt er Medien. Die in den Medien verbreitete Meinung beeinflusst den Menschen besonders stark in der Wahrnehmung dessen, was er für die Mehrheitsmeinung hält. Wenn er nun feststellt, dass seine Meinung nicht der Mehrheitsmeinung entspricht, dann schweigt er, weil er nicht anecken will. Durch sein Schweigen bewirkt er wiederum, dass die wahrgenommene Mehrheitsmeinung verstärkt wird, weil er nichts dagegen sagt. Wenn er hingegen festzustellen glaubt, dass seine Meinung konform mit der Mehrheit ist, dann redet er. Und damit kommt ein Spiraleffekt in Gang, der der Schweigespirale ihren Namen gab. Das trifft auch auf Alltagssituationen zu. Es fällt uns leichter, unsere Meinung zu äussern, wenn diese mit der Meinung der Mehrheit übereinstimmt. Mein netter Nachbar hat zunächst geschwiegen. Erst als wir festgestellt haben, dass wir einer Meinung sind, hat er gesprochen. Wenn wir also schweigen, weil wir befürchten, dass unsere Meinung nicht der Mehrheitsmeinung entspricht, stärken wir die Meinung der anderen. Und weil die anderen vielleicht sehr laut auftreten und deshalb viel Aufmerksamkeit bekommen, finden die "Lauten" wiederum Anhänger. Wer will schon auf der Seite der schweigenden Minderheit sein?

Wir haben es selbst in der Hand, diese Spirale zu durchbrechen und dafür zu sorgen, dass schlechtes Benehmen nicht zur Gewohnheit wird: indem wir es ansprechen. Das ist nicht immer leicht, weil man damit auf Konfrontationskurs geht und die Dinge aufs Tapet bringt, statt sie unter den Teppich zu kehren. Aber nur so können wir verhindern, dass die Lauten und die Unanständigen irgendwann den Ton angeben und uns dominieren.

Statt etwas direkt anzusprechen, kann man die Sache manchmal auch non-verbal lösen. Ich habe inzwischen einige Übung darin, sehr strafend zu gucken. Zum Beispiel, wenn Leute in der Öffentlichkeit in der Nase bohren, in den Ohren puhlen, laut gähnen, ständig auf dem Smartphone rumdaddeln, mit den Ellbogen auf dem Tisch essen oder morgens den Lift eingenebelt in dermassen schweres Parfum betreten, dass es einem den Atem abschneidet (so etwas wie Diors Poison sollte man verbieten). Ganz böse und ganz strafend habe ich neulich mal geschaut, als eine junge Frau sich schnell vor mir durch die schwere Tür schlängelte, die ich gerade zuvor, bepackt mit meinem Rollkoffer, aufgewuchtet hatte. Vermutlich hat sie den Blick so schnell nicht vergessen.

Wenn das mit dem bösen Blick nicht funktioniert, kommt Plan B zur Anwendung: eine Bemerkung absetzen. Das mit dem Nicht-Aufhalten der Tür passiert mir ständig, weil in der Fachhochschule überall schwere Glastüren an den Durchgängen sind, von der immer eine nach innen aufgeht und eine nach aussen. Wenn nun eh schon jemand die eine Tür geöffnet hat, bietet es sich an, dass er drei Sekunden wartet, wenn er merkt, dass da noch jemand kommt. Aber nein, man tut so, als habe man nichts bemerkt und lässt die Tür einfach los, frei nach dem Motto: Nach mir die Sintflut! In diesen Situationen sage ich nun mit Haifischlächeln: "Danke, dass Sie mir die Tür aufgehalten haben."

Auch wenn die Weihnachtszeit mit Harmonie verbunden ist. Langfristig tun wir mehr für das funktionierende Zusammenleben in unserer Gesellschaft, wenn wir Grenzen setzen, kritische Punkte thematisieren und die eigene Wahrnehmung artikulieren. Deshalb ist mein Tipp für den Dezember: Raus aus der Schweigespirale und Mut zur Disharmonie!

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine kommunikativ herausfordernde Adventszeit.
Ihre
Gunhild Hinkelmann



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