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Sich anzuschweigen, kann öde sein. Zu viel zu reden aber auch, vor allem wenn man sich an Menschen im öffentlichen Raum wendet, die einem unbekannt sind. Darf man das überhaupt?

Soll man im Bus oder in der Bahn Small Talk machen mit dem Sitznachbarn oder dem Gegenüber? Soll man Menschen auf der Strasse auf vermeintliche Missgeschicke ansprechen? Und soll man unbekannten Personen unaufgefordert Ratschläge und Tipps geben? Ich finde nein. Drei Beispiele.

1. Neulich im öffentlichen Nahverkehr: Ich steige bepackt mit einer schweren Tasche nach einem anstrengenden Seminartag und einer einstündigen Bahnfahrt in den Bus. Der ältere Herr mir gegenüber versucht betont umständlich etwas Platz zu machen, damit ich meine Tasche verstauen kann und fügt an: „Ja, so geht es einem, wenn man von der Chemotherapie kommt.“ Ich lächle matt und mitfühlend, da fährt er auch schon fort. „Wissen Sie, die Ärzte sind auch Idioten. Vor sechs Monaten hatte ich einen Schwall Blut im Urin und der Arzt meinte, das sei nichts Schlimmes. Dabei hatte ich Krebs.“ Der Mann fährt mit weiteren Details fort, während ich krampfhaft überlege, ob ich diese Situation wohl bis zu den verbleibenden acht Haltestellen ertragen kann oder verändern sollte, indem ich mir einen anderen Platz suche. Letzteres erscheint mir jedoch zu brüsk, also halte ich tapfer durch und werfe ein: „Umso schöner, dass es Ihnen nun schon wieder besser geht.“ Damit habe ich ihm die Steilvorlage zur Frage geliefert: „Von wo kommen Sie?“ „Ich lebe schon seit 20 Jahren in der Schweiz.“ „Ja, aber von wo sind Sie eigentlich?“ „Bielefeld.“ Das ist die nächste Vorlage dafür, dass der Herr mir seinen beruflichen Werdegang bis zur Pensionierung darlegt, seine Reisen nach Deutschland, seine Meinung zur ehemaligen DDR, zu Putin und der Krimkrise sowie zu dem bei Jugendlichen grassierenden exzessiven Gebrauch elektronischer Geräte und zu ihrer mangelnden Fähigkeit zu rechnen, während sie noch alles perfekt mit dem Rechenschieber gemacht hätten. Nach sechs Haltstellen steigt er aus – und hinterlässt mir dieses klassische Beispiel für situativ (müde Erwerbstätige in öffentlichen Verkehrsmitteln) und inhaltlich unangebrachten Small Talk (Körperausscheidungen, Krankheiten).

2. Neulich beim Coop: Nach vollbrachtem Wochenendeinkauf manövriere ich den schweren Einkaufswagen zum Blumenstand, um noch ein paar bunte Frühlingsblumen zu kaufen. Dabei kriege ich die Kurve nicht richtig und eine blöd an der Ecke eines niedrigen Tisches platzierte Vase mit Tulpen geht zu Boden, mit den entsprechenden Konsequenzen wie Geräusche, Glasscherben und Wasser am Boden. Ein suchender Blick zu den freundlichen Damen am Blumen-Kiosk, die gerade zum einen busy sind, zum anderen offensichtlich keinen Grund zur Panik sehen. Da von Wasser und Scherben an der Stelle keine Gefahr für andere ausgeht, schnappe ich mir meine Tulpen und Hyazinthen und bewege mich zu den Damen an der Kasse. Schon baut sich eine Dame vom Typ „Ich bin die perfekte Hausfrau“, ebenfalls Kundin, mit gestrengem Blick vor mir auf und sagt: „Wollen Sie das nicht aufheben?“ Ich bin so perplex, dass ich nur stammeln kann: „Ich wollte mir eigentlich nicht die Hände an den Scherben schneiden. Die haben hier sicher die entsprechenden Putzinstrumente.“ Schlagfertiger wäre sicher gewesen zu sagen: „Nein, aber Sie vielleicht. Tun Sie sich keinen Zwang an.“ Doch so etwas fällt einem ja leider erst nachher ein. Übrigens, die Damen am Blumen-Kiosk reagieren lachend und entspannt: Ich solle mir keine Gedanken machen, sie kümmern sich drum.
Ergo: Wenn anderen Menschen Missgeschicke passieren, können Sie allenfalls Hilfe anbieten, aber bitte keine Ratschläge und Belehrungen. Auch nicht, wenn anderer Leute Kinder unbedingt und stundenlang an der Gemüsewaage die Zahlentasten drücken müssen, um sich selbst zu verwirklichen. Einfach durchatmen, entspannen und lächeln. Oder auf abgepacktes Obst und Gemüse zurückgreifen.

3. Neulich nach dem einem Lauf-Event: Ich hole zwei aufgestellte Marathoni nach vollbrachter Tat in Zürich ab und wir sind auf dem Weg zum Auto. Da sie schon mehr als 50 Marathons in ihrem Leben absolviert haben, zeigen sie im Gegensatz zu vielen anderen uns umgebenden Menschen, die wie auf Eiern gehen, kaum Ermüdungserscheinungen. Vor uns schleppt sich ein grosser, starker Mann in Begleitung von Frau und Kind den Gehweg entlang. An seinem einen Turnschuh sind die Schnürsenkel offen, was ihn aber ganz offensichtlich nicht zu stören scheint. Munter plappert unsere Kollegin von hinten auf ihn ein: „Du, deine Schnürsenkel sind offen. Dass du nicht stolperst.“ Der Mann lächelt müde und unsere Kollegin setzt einen weiteren Wortschwall mit Regenerationstipps ab, bis mein Mann dem schlappen Marathon-Helden helfend in die Bresche springt und sagt: „Sich zu bücken, ist ja nach so einem Lauf mega anstrengend, da lässt man die Schuhbändel lieber offen.“ Der Mann nimmt diese Vorlage dankbar an und wir suchen das Weite. Tipps mögen ja gut gemeint sein, aber es braucht ein bisschen Feingefühl, um zu sehen, wann diese überhaupt sinnvoll sind. Wenn Menschen sowieso in Begleitung anderer sind, muss man sich da wohl kaum einmischen und sie auf etwaige Missgeschicke und Gefahren hinweisen.

Fazit: Schweigen ist tatsächlich oft die bessere Lösung.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen sonnigen April, den Sie in Ruhe geniessen können.

Gunhild Hinkelmann



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