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    Titelrollen: Wenn der Doktor den Hut nimmt ...
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"Wann ist Mann ein Mann", sang Herbert Grönemeyer. Wann ist ein Doktor ein Doktor, wann ein Baron ein Baron und wann ein König ein König, könnte man anfügen. Im wirklichen Leben spielt sich gerade die Realsatire um den ehemaligen Doktor und noch-Baron zu Guttenberg ab, in der Kinowelt macht ein König wider Willen von sich reden, weil er nicht reden kann.

In beiden Fällen wird die Frage der Kompatibilität von Rollen diskutiert, die wir im privaten und öffentlichen Leben spielen. Kann ein Schummler im Privaten gleichzeitig der seriöse Verteidigungsminister eines Landes sein? Kann ein Stotterer König sein? Zu Guttenberg hat ungeachtet der Kritik an seiner Person seine Rolle als Minister munter weiter gespielt, um sich jetzt als Opfer einer bösen Medien-Kampagne zu inszenieren und aus Rücksicht auf das Wohl von Amt, Land und Partei zurückzutreten. Der Schauspieler Colin Firth spielt seine Rolle als stotternder König so gut, dass er den Oscar dafür bekommen hat. Auch der von ihm dargestellte George VI. hatte eine Rolle zu spielen, die ihm zunächst fremd war und die er nicht wollte. Rollen sucht man sich nicht immer selbst. Wir alle spielen tagtäglich viele Rollen, im Privaten, im Beruflichen und im Gesellschaftlichen, gewollte und ungewollte. Insofern ist das oft zitierte Argument: „Der spielt ja nur eine Rolle“ kein treffendes. Zu Guttenberg jedenfalls beherrscht das Rollenspiel.

Welche Gemeinsamkeiten gibt es noch zwischen dem Freiherrn und dem König? Gemeinsam ist ihnen, dass sie aus einem Makel Kapital schlagen. Zu Guttenberg brüstet sich plötzlich mit seiner „Ehrlichkeit“ – er hat doch offen zugegeben, dass er „Blödsinn“ geschrieben habe. George VI. hält schliesslich eine Rede, die gerade deshalb beeindruckt, weil sie (Stotter-)Pausen beinhaltet, die auf die Weisheit und das Einfühlungsvermögen des Sprechers hinzuweisen scheinen. Kaum ein Schriftsteller könnte ironischere Geschichten erfinden, als diese beiden vom Leben geschriebenen Storys. Sie sind einfach zu gut(t).

Wer drängt die beiden dazu, ihre Rollen zu spielen? Die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit. Der Baron mit seiner Glamourgattin dient als willkommene Projektionsfläche für weite Teile der Bevölkerung, vertreten und angespornt durch die Bild-Zeitung, die nach „Wir sind Papst“ nun auch „Wir sind stolz und adelig“-Gefühle auskosten können. Man muss Projektionsobjekte nicht mehr bei den umliegenden europäischen Adelshäusern ausleihen, sondern man hat nach dem wenig tauglichen „Pinkel-Prinzen“ Ernst August von Hannover endlich ein eigenes Glamourpaar: schön, erfolgreich, stark, anpackend - und adelig. Wofür braucht man da noch einen Doktortitel? Ein unwichtiges Detail, denn schliesslich zählt ja der Mensch an sich, wie viele Anhängerinnen und Anhänger von KTG einwenden. Obwohl der Adel in Deutschland schon lange offiziell abgeschafft ist, treibt er in der Vorstellung des Normalsterblichen weiterhin seltsame Blüten. Was dem Durchschnittsmenschen zum Verhängnis geworden wäre, wird beim Adel als etwas Menschlich-allzu-Menschliches wahrgenommen, das diese Übermenschen nur noch sympathischer macht – menschlich eben. Es darf einfach nicht sein, dass Banalitäten sie daran hindern, ihre Titelrolle zu spielen. Und doch hat der Verteidigungsminister jetzt seinen Hut genommen. Vielleicht, um sich Spielraum für eine nächste tragende Rolle zu schaffen.

James Thurber, der amerikanische Satiriker, hat in seiner Fabel „The Owl Who Was God“ eindrücklich geschildert, wie eine Eule wider Willen zur politischen Führerin gemacht wird. Obwohl sie als Eule nur die Laute „Uuh“ und „Ih“ produziert, werden ihr vom Volk Sätze in den Mund gelegt, die ihre Intelligenz und Weisheit bezeugen. Die Eule kann in den Augen des Volkes deshalb nicht irren, weil es aus der griechischen Mythologie und unseren Märchen bekannt ist, dass sie die Weisheit verkörpert. Alle Kritiker werden vertrieben und schliesslich folgt das Volk der Eule in den Tod, weil sie vom Tageslicht geblendet nichts sieht und auf der Autobahn landet, wo sie mit ihren Anhängern von einem Lastwagen überrollt wird.

So schlimm braucht es nicht zu kommen. Trotzdem ist es empfehlenswert, sich bewusst zu machen, wie solche Mechanismen immer wieder ablaufen. Denn die von uns konstruierte Wirklichkeit ist oft stärker als die Vernunft. Und das kann böse enden. Deshalb sollten wir uns bei der Wahrnehmung statt auf Status und Titel lieber auf unseren gesunden Menschenverstand verlassen und Menschen generell als Menschen ansehen, egal ob König oder Doktor. Und der Realität ins Auge sehen. Wir alle lügen tagtäglich mehrmals. Genauer gesagt: Wir sagen nicht die Wahrheit. Aus durchaus sozialen Motiven, denn wir schützen damit uns und andere. Wie sagte doch der Schauspieler Jean Gabin: „Wenn alle Menschen immer die Wahrheit sagten, wäre das die Hölle auf Erden.“




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