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    Glückwünsche zum neuen Jahr: von aalglatt bis eiskalt
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Ein gutes neues Jahr, das wünschen wir anderen und uns selbst. Doch nicht alles, was da an guten Wünschen ins Haus trudelt, ist wirklich ein Segen. Manches entpuppt sich gar als Fluch.

Der Zeitungsständer quillt zu dieser Jahreszeit nicht nur über von Prospekten, Magazinen, Jahresberichten und natürlich Zeitungen, er bekommt auch jeden Tag Zuwachs von kartonierten, persönlich adressierten Glückwünschen von jedem Geschäft, dessen Schwelle wir irgendwann einmal überschritten haben.

"Wir machen Ihnen ein Kundenkärtli, dann profitieren Sie von allen unseren tollen Angeboten, gell?" Natürlich sollte man in einem solchen Moment sofort fragen: "Schicken Sie mir dann auch ein Kärtli zu Weihnachten? Oder kann ich das Häkchen bei den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, wo es heisst 'Ich bin einverstanden, dass ich Werbematerial und Glückwunschkarten zu den Festtagen erhalte.' wieder rausnehmen?"

Aber wer will den festtagsgestimmten Angestellten in den PR-Abteilungen der Unternehmen schon die Freude am Freudemachen nehmen? Natürlich wäre die ehrliche Art der Kommunikation zu schreiben: "Wir möchten die Feiertage als Anlass nutzen, mal wieder den Fokus Ihrer Aufmerksamkeit zu erhaschen. Und damit Sie einen guten Anreiz haben, im neuen Jahr baldmöglichst etwas bei uns zu kaufen, legen wir ein paar nette Gutscheine bei." Wie unromantisch.

Doch wohin mit all den Gutscheinen? Die kann man doch nicht ins Altpapier geben, sie bedeuten schliesslich bares Geld. Vielleicht in einem Sichttaschenalbum fein säuberlich sammeln, nach Art, Herkunft und Ablaufdatum?

Man könnte eine Gutscheintauschbörse nach dem Vorbild der Philatelisten organisieren. Oder die Bons bei Ricardo oder Ebay anbieten und jeden Tag verfolgen, wie viele sich das Ding angesehen haben. "20-Fr.-Gutschein von Jelmoli billig abzugeben. Kaum gebraucht. Muss abgeholt werden." Einstiegspreis: Fr. 1.--. Erhöhungsschritt Fr. 0.50.
So lernt man eventuell sogar bei der Abholung den Partner oder die Partnerin fürs Leben kennen.

Doch lassen wir mal die unvermeidlichen geschäftlich motivierten Glückwunschkarten beiseite und wenden uns den echten aus dem Kreise der Freunde, Verwandten und Bekannten zu. Hier steht man zunächst vor der Frage, ob die Neujahrswünsche unbedingt auf schönen Karten per Post daherkommen sollten oder ob es auch die elektronische Variante sein darf. Ich finde, die Frage der Form ist zu vernachlässigen, es kommt auf den Inhalt an. Und der muss persönlich sein. Also lieber keine elektronische Karten zum Downloaden mit kitschigem Blinken und Fanfare als Mail an den gesamten "Freundeskreis-Verteiler". Wirklich treue Seelen schreiben nette Zeilen und berichten Persönliches und man schreibt ihnen immer zurück. Manche fügen einen Sammelbrief mit den gesammelten Ereignissen des vergehenden Jahres in der ganzen "extended family" und schönen Fotos bei, entweder auf Papier oder elektronisch. Das ist völlig in Ordnung und macht auch Sinn, gerade wenn auch der Freundeskreis "extended" ist. Es ist unrealistisch, zwanzig Personen zu Neujahr einen längeren Brief zu schreiben, in dem man berichtet, was alles so passiert ist. Und der Empfänger erfährt dadurch allemal mehr und vor allem Persönliches, als wenn er nur eine Karte mit den Standardwünschen erhält.

Was aber gar nicht geht, sind Kettenmail-Powerpoint-Präsentationen, verschickt an einen (sichtbaren) Verteiler von 20 Personen mit dem Betreff "Glück ist alles" und einem Einzeiler des Absenders von wegen Festtagswünschen. Wenn man die unsägliche PPT-Datei dann öffnet, stösst man auf Jahresend-Weisheiten wie "Nimm Dir Zeit, Zeit ist wichtiger als Geld. Man kann Sex kaufen, aber nicht Liebe." Und mindestens zehn weitere Variationen davon. So weit so gut. Wäre nicht nötig gewesen, aber was soll's. Ist ja gut gemeint. Meint man. Wenn man dann aber weiterliest, steht dort Folgendes: "Diese Meldung soll 8x um die Welt gehen. Schicke sie innerhalb von vier Tagen weiter. Dann wirst du Glück haben." Ist das noch ok? Vielleicht. Dann aber: "Peter schickte die Meldung nicht weiter. Drei Tage später starb sein Sohn. Auch er wurde krank." "Hans erhielt die Meldung und sandte sie nicht weiter. Er verlor seine Stelle. Dann änderte er seine Meinung und prompt fand er eine neue, gut bezahlte Stellung." Da hört der Spass endgültig auf, denn da wird mit den Ängsten von leichtgläubigen, bedrängten Menschen gespielt. Drohungen - getarnt als Festtagswünsche - nein danke.

Was hinterlässt so eine Nachricht bei uns? Als Sender einer Botschaft sollte man sich im Voraus die Frage nach der Wirkung stellen. Als Empfänger bleibt ein schales Gefühl, dass der Absender - den wir für einigermassen intelligent und rational hielten - etwas offenbart, das wir bei ihm oder ihr lieber nicht sähen. Dazu der Eindruck, dass der wohlmeinende Absender uns so einschätzt, als würden wir solche Kettenmails weiterleiten. Das würde ich Menschen, die ich mag, nicht antun. Nicht einmal Menschen, die ich nicht mag.

Natürlich wird deswegen die freundschaftliche Beziehung zum Absender nicht in Frage gestellt. Doch es ist verwunderlich, wie das Medium Computer und digitale Post es so schnell schaffen, die graue Hirnrinde ausser Gefecht zu setzen. Die hat zwar ab und zu eine Pause wohl verdient, gerade mal zu den Festtagen. Aber doch nicht so.

In diesem Sinne - Guten Rutsch, aber bitte ohne Ausrutscher dieser Art.

Ihre Gunhild Hinkelmann



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