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Ein gutes Image zu pflegen, heisst auch bei Tisch eine gute Figur zu machen. In gängigen Stilratgebern macht man sich unter der Fragestellung "Darf man das?" zahllose Gedanken zum souveränen Umgang mit Speis und Trank. Viel wichtiger als die Frage, ob ich nun den Salat schneiden "darf" oder nicht, sollte hingegen die Frage sein, was ich da auf dem Teller habe. Doch dazu schweigen Stilratgeber. Aktuelle Anregungen erhält man bei der Lektüre von Jonathan Safran Foers gerade auf Deutsch erschienenem Bestseller "Tiere essen".

Wir leben in einer tierlieben Gesellschaft. So tierlieb, dass es manchmal schon groteske Züge annimmt. Vor einiger Zeit war ein behinderter Mann ins Bären-Gehege des Berner Zoos geraten und von einem Bären angefallen worden. Weil es keine andere Möglichkeit gab, dem Mann zuhilfe zu kommen, gab ein Polizist einen Schuss auf den Bären ab. Der verletzte Bär erhielt danach zahlreiche Genesungswünsche und Süssigkeiten von besorgten Tierfreunden aus der ganzen Schweiz in den Zoo geschickt. Der Bär heisst Finn, sein Bild ging durch alle Medien.

Als Krake Paul bei der WM den Sieg der Iberer gegen Deutschland vorausgesagt hatte, machte sich die spanische Bevölkerung bis hin zum Premierminister und der Umweltministerin Sorgen darüber (wenn auch vielleicht ironisch gemeint), ob Paul nun von wütenden Deutschen verspeist würde. Sie boten Paul Asyl an. Asyl in einem Land, in dem täglich Tausende von Pauls namenlosen Brüdern und Schwestern zu Tapas verarbeitet werden?

Umgekehrt entrüsten sich bei uns Menschen, die ohne Not täglich Fleisch aus Massentierhaltung verzehren, darüber, dass die Spanier das blutige Spektakel des Stierkampfs zu ihren Traditionen zählen. Der Tod eines Stiers wird öffentlich zelebriert und erregt Anstoss. Der tagtägliche Tod von Zigtausenden Tieren aus Massentierhaltung dagegen geschieht im Verborgenen. Die Umstände der Massentierhaltung und der Prozess des Schlachtens wird den Augen der Konsumentinnen und Konsumenten nicht zugemutet. Und wir sind nur allzu gern bereit, die Tatsache auszublenden, dass unser Steak einmal ein Tier war. Wenn wir das Tier gekannt hätten, hätte es vielleicht einen ähnlichen Jö-Effekt in uns erzeugt wie Finn, Knut oder Paul.

Doch das leckere Steak auf unserem Teller, das wir Knigge-konform mit dem entsprechenden Messer schneiden, hat keinen Namen. Wir denken nicht darüber nach, dass es ein Tier war. Wir wissen nicht, wie das Tier gelebt hat und wie es getötet wurde. Wir kaufen im Laden ein industriell hergestelltes Produkt, klinisch rein und ästhetisch hergerichtet, das in uns die Illusion erzeugt, es sei einfach ein Schnitzel. Wie würden wir reagieren, wenn auf dem sorgsam vakuumierten Fleischpaket im Kühlregal stände: "Dieses Entrecote war ein Teil von Rind Peter." oder "Dieses Pouletbrüstli gehörte Huhn Erna."?

Autor Safran Foer hat sich nach seinen umfassenden Recherchen zur Massentierhaltung und deren ökologischen Auswirkungen dazu entschlossen, Vegetarier zu werden. Er verweist zudem auf die schlechten Arbeitsbedingungen in US-amerikanischen Schlachthöfen, die zu einer Verrohung und Entfremdung der Menschen führten. Nun ist der Weg des Vegetariers oder des Veganers jedoch nicht die einzige Möglichkeit, respektvoll mit Mensch, Tier und Umwelt umzugehen. Wir haben als Konsumentin und Konsument selbst die Wahl zwischen Billigfleisch aus Massentierhaltung und Fleisch von Tieren, die wenigstens ein gutes Leben hatten. Wir können uns auch nach Herkunft und Haltung der Tiere erkundigen - statt nur nach dem Preis. Wir haben die Wahl zwischen importiertem Fleisch und regionalem Fleisch sowie Bio-Produkten. Die Wahl, die wir als Konsumenten haben, gibt uns Macht, aber auch eine Verantwortung.

Wie verhält man sich jedoch als Vegetarier/in, wenn man eingeladen ist? Am besten macht man die Gastgeber schon vorher darauf aufmerksam, dass man kein Fleisch isst, damit sie sich darauf einstellen können. Schwieriger ist die Sachlage, wenn man zwar Fleisch isst, aber kein Fleisch von gequälten Tieren, die vollgepumpt mit Medikamenten sind. Kann man darauf auch seine Gastgeber im Voraus hinweisen? Warum eigentlich nicht. Nur eines sollte man nicht machen: Bei Tisch eine Diskussion über Massentierhaltung und Umweltbelastung durch Gülleproduktion entfachen. Auch beim geselligen Apéro sollte man tunlichst darauf verzichten, einen anderen Gast, der sich gerade genüsslich ein Saté-Spiesschen in den Mund schiebt, zu fragen: "Wussten Sie eigentlich, dass ein Masthuhn sein tristes Leben eingepfercht auf einem Stück Raum von der Grösse eines A4-Blattes verbringt?"

Fazit: Wenn schon Stil, dann bitte richtig. Und dazu gehört auch, dass man respektvoll mit den Ressourcen unserer Erde umgeht. Denn nicht umsonst heisst es ja "Du bist, was du isst." Im Zweifelsfall lieber ein Rüebli als ein Schwein.




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