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    Insel-Auszeit - doch kein Mensch ist eine Insel …
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(April 10) Das Thema Burnout ist momentan in aller Munde, zumal es sich in Buchform lukrativ vermarkten lässt. Ich sorge lieber vor und gönne mir einmal pro Jahr einen Urlaub ganz für mich allein. Neben Zeit und Musse zum Sport treiben, nachdenken und lesen ist das auch ein interessanter Perspektivwechsel in die Rolle der "Alleinreisenden". Und da steht man vor der Herausforderung, alleine im Restaurant zu essen.

Reif für die Insel, ein Sport-Ressort auf Fuerteventura, Erholung pur: Alleine verreisen, sich einfach durch den Tag treiben lassen und sich nur nach den eigenen Bedürfnissen richten. Entschleunigen statt herumspeeden. Keine Sachen aufheben, die andere Mitglieder der häuslichen Gemeinschaft aus Versehen liegen gelassen haben - stattdessen darüber nachdenken, wieso man diese Sachen eigentlich aufhebt und sich obendrein aufregt. Auf dem sonnigen Balkon des schönen Hotelzimmers sitzen, ein gutes Buch lesen und stundenlang aufs Meer schauen. Wind und Sonne trotzen und 6.5 km hinauf zum Leuchtturm joggen. Mit Schwung wieder hinunter. Duschen, ausruhen, schwimmen gehen, im Liegestuhl liegen, tagträumen. Und irgendwann dann etwas Leckeres essen gehen. Doch da wird es schon etwas schwieriger mit dem Alleinsein.

Erster Versuch: Buffet-Abendessen im Kreis von Hunderten von Mitessern. Das Essen ist überhaupt nicht fein: Roastbeef, viel zu dick geschnitten, zäh wie eine Schuhsohle. Die Spanier können kein Fleisch, ich hätte es wissen müssen und Fisch nehmen sollen. Die Atmosphäre im Speisesaal erinnert an ein Bahnhofsbuffet. Immerhin fällt man als "Alleinesserin" in der Masse nicht gross auf, schnell etwas halbwegs Akzeptables vom Buffet holen, essen und wieder gemütlich aufs Zimmer, vom Balkon aus Sternenhimmel und Meeresrauschen geniessen. Aber für zwei Wochen kein attraktives Konzept.

Zweiter Versuch: Wechsel zum À-la-carte-Restaurant beim ressorteigenen Spanier oder Italiener (der vermutlich auch Spanier ist). Gediegene Atmosphäre beim Spanier, keine Sportler in Flip-Flops. Doch was macht man, während man auf Getränke und Essen wartet? Normalerweise Konversation. Das gehört zu einem guten Essen. Also schaut man sich ein bisschen um, trinkt ein gutes Glas Wein, führt Selbstgespräche und macht etwas Smalltalk mit dem reichlich reservierten Servicepersonal. Die Pimientos de Padrón und der gegrillte Thunfisch sind im Vergleich zum Buffet fast eine Offenbarung, doch der Abend vermittelt nicht wirklich ein Wow-Gefühl.

Dritter Versuch: Draussen auf der Terrasse beim Italiener, angenehme Temperatur, Sternenhimmel. Juan Carlos tritt an meinen Tisch. Statt geschäftig zur Aufnahme der Bestellung überzugehen, schaut er mich lächelnd an und fragt: "Qué tal?" (Wie geht es?) Da fühle ich mich schon mal als Person wahrgenommen. Ich bestelle ein Glas Cava. Um das Problem mit der fehlenden Konversation zu lösen, habe ich mir ein Buch mitgebracht, Suters "Der Koch", eine ideale Lektüre fürs Restaurant. Obwohl das Menu qualitativ im argen Kontrast zu Maravans Raffinessen steht, wird es ein absolut gelungener Abend. "Sie haben ein Rindsfilet bestellt. Dazu müssen Sie unbedingt einen guten Rotwein trinken", sagt Juan Carlos und serviert mir eine kleine Flasche Rioja, die nachher nicht auf der Rechnung erscheint. Der Wein war das Beste am Menu, ich hätte Fisch bestellen sollen, Spanier können kein Fleisch, ausser vielleicht Ferran Adrià, doch der ist Katalane. "Ha sido un placer", sage ich zu Juan Carlos beim Gehen. "Verdaderamente un placer", antwortet Juan Carlos.

Vierter Versuch: Znacht auf meinem Balkon, ein paar Nüssli, ein bisschen Käse und ein gutes Glas Wein, während ich mich von Herrn Suter in die Welt der Rotationsverdampfer und Zimtöl-Chapatis entführen lasse. Auch dieser Abend gelingt.

Fünfter Versuch: Wieder beim Italiener, ausgerüstet mit Lesebrille und Suter. Kaum sitze ich am Tisch, stellt mir Juan Carlos mit galanter Geste im Vorbeigehen ein Glas Cava auf den Tisch. Ich bin begeistert. Das Lokal ist voll besetzt, kein Wunder bei dem furchtbaren Essen am Buffet, und Juan Carlos rennt ständig zwischen Küche und Lokal hin und her, jeweils vorbei an meinem Tisch, jedes Mal lächelnd. Ich schaue mich um, ein paar Tische weiter sitzt ein weiterer Alleinreisender, vertieft in die Lektüre eines Buches, den grimmig wirkenden Blick permanent nach unten gerichtet. Ich verschränke die Arme in Warteposition und harre des ersten Ganges, der da kommt. "Diese Haltung ist verboten," sagt Juan Carlos, "lächeln Sie, Sie sind in den Ferien." Ohne Anstrengung folge ich seiner Aufforderung. "Mucho mejor", sagt Juan Carlos. "Ach wie gut, dass niemand weiss, dass ich Kommunikationstrainerin bin," denke ich nach dieser Lektion in Körpersprache. Auch dieser Abend wird ein Erfolg, bloss der von Juan Carlos offerierte Anis als Digestif hätte nicht sein müssen - nach dem Cava und einer kleinen Flasche Wein.

Sechster Versuch: Morgens beim Frühstück auf der Terrasse beobachte ich, wie einer sympathisch aussehenden grossen Blonden genau das passiert, was mir kurz vorher passiert ist. Sie ist hinein zum Buffet gegangen, um sich etwas zu holen. Als sie zurückkommt, haben vier Sportsmänner ihren Tisch im Handstreich übernommen und sie muss sich einen neuen suchen. Ich gehe hinüber zu ihrem Tisch und wir kommen schnell ins Gespräch. Andrea kommt aus München und spricht genau den Dialekt, auf den ich so abfahre. Für den Abend um 20.00 Uhr verabreden wir uns zum Essen am Halbpensions-Buffet.

Beim Betreten des Speisesaals schlägt uns eine wenig appetitliche Mischung aus dem ätzenden Chlorgeruch des in Spanien üblichen Putzmittels Lejía (Javelwasser) und dem einer Fischbratküche entgegen. Ansonsten ist es angenehm, denn zu diesem Zeitpunkt hat der Grossteil der Gäste bereits das Dessertbuffet hinter sich gelassen und wir können uns in aller Ruhe bei den Vorspeisen bedienen. Das Essen scheint mir an diesem Abend tatsächlich etwas weniger fad und verkocht, was aber sicher eher auf die angeregte Konversation mit Andrea zurückzuführen ist. Das bekannte Phänomen der selektiven Wahrnehmung. Ich bin beeindruckt davon, wie Andrea ganz pragmatisch Negatives ausblenden kann. Dem Umstand, dass die meisten Leute auch abends hier im Sportdress sitzen, stellt sie plausibel den Vorteil gegenüber, dass man dafür lauter durchtrainierte und ästhetische Körper sieht - und nicht den übergewichtigen Durchschnittsbürger. Während Andrea sich munter plaudernd ihre Vorspeisen schmecken lässt, ist es ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen, dass ein weiterer Alleinreisender an einem Tisch nebenan Platz genommen hat. Spontan lädt sie ihn ein, an unseren Tisch zu kommen, den wir soeben zum Meetingpoint für Alleinreisende erklärt hätten. Alex kommt ebenfalls aus München und spricht diesen Dialekt, auf den ich so abfahre. Der Abend endet mit ein paar Mojitos an der Bar und damit ist dann für drei Menschen, die gerne alleine reisen, für den Rest der Ferien das Problem des Alleinessens beim Frühstück und Abendessen gelöst. So einfach kann das sein. Man muss nur miteinander reden.

Osterzeit ist Reisezeit. Vielleicht fahren Sie im April in die Osterferien. Deshalb hierzu meine Tipps:
1. Wenn Sie im Restaurant allein essen, nehmen Sie sich etwas Gutes zu lesen mit und/oder sprechen Sie einfach mal andere Alleinessende an. Was kann im schlimmsten Fall passieren? Eben. Nothing ventured, nothing gained.
2. Wenn Sie im Restaurant in Gesellschaft sind und nicht gerade ihre traute Zweisamkeit zelebrieren wollen, dann sprechen Sie doch einfach mal Alleinessende an.
3. Bestellen Sie beim Spanier Fisch statt Fleisch.
4. Gönnen Sie sich eine Auszeit, bevor Sie glauben, ein Buch über Burnout schreiben zu müssen.





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