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Der November stürzt uns in ein Wechselbad von Stimmungen: Sonne, leuchtende Herbstfarben und Wärme auf der einen Seite - Nebeldecke, Kälte und Trübsinn auf der anderen. Die Infektanfälligkeit steigt und wir sind von schnupfenden und niesenden Menschen umgeben. Damit verbunden taucht die Frage auf: "Sagt man jetzt eigentlich "Gesundheit", wenn jemand niest, oder nicht?"

Für Menschen mit solidem Knigge-Background scheint die Frage klar: Schon seit einigen Jahren wird gepredigt, man solle Körpergeräusche wie Niesen geflissentlich überhören und übergehen. Ergo solle man nichts sagen, weil es dem Sender der Botschaft peinlich sein könne. Zudem betone man Störungen bei der Kommunikation nicht noch zusätzlich. Und schliesslich gebe es heute so viele Allergiker, da störe ein ständiges "Gesundheit" und das darauffolgende "Danke". Soweit die Theorie. Doch die Praxis ist eine andere. Die meisten Menschen sagen eben - fast intuitiv - immer noch "Gesundheit", weil sie dies als höflicher empfinden. Man signalisiert dem oder der Schnupfengeplagten damit Verständnis und Mitgefühl. Das kann so falsch nicht sein. Ursprünglich, d.h. im Mittelalter, war es zwar wahrscheinlich so, dass der Empfänger des wohlgemeinten Wunsches nicht etwa der Niesende war, sondern man selbst. In Zeiten von Pest und Cholera wirkten Niesattacken bedrohlich und so sendete man schnell den frommen Wunsch aus: "Der Herr möge mir Gesundheit schenken." Das erklärt auch, warum man in anderen Sprachen ähnlich damit umgeht. "Santé" sagt man in Frankreich, "Jesus" als Verkürzung eines Stossgebets in Spanien. Die Briten dagegen pflegen das geflissentliche Ignorieren jeglicher Körpergeräusche und lassen das Niesen unkommentiert. Irgendwann kam aber auch dort das "(God) bless you!" auf.

Diese historischen Hintergründe stehen zum einen auf wackligen Füssen, zum anderen dienen sie ein paar Jahrhunderte später wohl kaum noch als Orientierung. Wie dem auch sei, bei uns galt es lange als höfliche Anteilnahme, das Niesen eines Anwesenden mit "Gesundheit" zu kommentieren. Jedenfalls so lange, bis dann die Knigge-Regel aufkam, man sage nicht mehr Gesundheit.

Nun kann es aber passieren, dass Menschen Sie als unhöflich empfinden, wenn Sie nicht "Gesundheit" sagen. Und umgekehrt macht es natürlich Sinn, sich für ein "Gesundheit" zu bedanken, statt es mit einem besserwisserischen "Das sagt man aber heute nicht mehr" zu quittieren. Offensichtlich ist diese Problematik auch zu denjenigen durchgedrungen, die sich dazu berufen fühlen, im Namen eines vor über 200 Jahren verstorbenen Aufklärers Regeln für den Umgang der Menschen im 21. Jahrhundert zu formulieren. So fordern Mitglieder der Deutschen Knigge-Gesellschaft, die Gewohnheit "Gesundheit" beim Niesen zu sagen, wieder vom Index des kniggemässig Verbotenen zu entfernen. Auch Mitglieder des deutschen Knigge-Rates nehmen das Thema Niesen in ihrer jüngsten Pressemitteilung auf und mahnen in Zeiten der Schweinegrippe zu Knigge konformem Verhalten auf der Münchner Wiesn. Immer schön in die linke Hand niesen und auf Bussis besser verzichten.

Nun, das Oktoberfest ist vorbei, die Schweinegrippe leider noch nicht. Jemandem, der niesen muss, "Gesundheit" zu wünschen, kann also keineswegs falsch sein. Ähnlich verhält es sich mit den Knigge-Regeln nicht mehr "Guten Appetit" zu sagen und nicht mehr anzustossen. In der Praxis hat sich auch das nicht durchgesetzt. Und so amüsiert es mich jeweils köstlich, wenn wir mit unseren Studierenden an der Fachhochschule zum Abschluss ein stilvolles Knigge-Dinner veranstalten, alle ihr Glas erheben, sich anschauen, kurz zögern - und dann anstossen, nicht ohne den beschwichtigen Hinweis an mich: "Wir wissen schon, dass man das nicht macht, aber es gehört irgendwie dazu." Wie recht sie haben.


Fazit

Lassen wir also die Kirche im Dorf und wenden wir unseren gripperesistenten gesunden Menschenverstand an. Bei einer Veranstaltung, einer Präsentation oder einem Vortrag ständig "Gesundheit" zu sagen, wäre tatsächlich das Betonen einer Störung. In Alltagssituationen dagegen drückt man mit "Gesundheit" sein Mitgefühl aus.

Es kommt bei der Kommunikation immer darauf an, die Intention des Gegenübers zu erkennen. Hinter Wünschen wie "Gesundheit" und "Guten Appetit" steckt sicher nie eine böse Absicht. Deshalb kann man sie auch mit einem freundlichen "Danke" quittieren. Und so wünsche ich Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, dass Sie gesund und munter durch einen hoffentlich sonnigen November kommen.

Ihre

Gunhild Hinkelmann



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