Sitemap  
    Taktvoll oder voll taktlos? Wie ehrlich darf man bei der Kommunikation sein?
Willkommen
Archiv / Tipps
Porträt
Rhetorik
Gewinnende Kommunikation
Moderne Umgangsformen
Coaching
Kontakt

 
 
Mai 09 - Ehrlich währt am längsten, sagt das bekannte Sprichwort. Aber ist es wirklich sinnvoll und erfolgsversprechend, bei der Kommunikation immer ehrlich zu sein und stets zu sagen, was man denkt? Und ist es taktvoll, seinen Gedanken in der Öffentlichkeit freien Lauf zu lassen?

Im Wonnemonat Mai schlagen nicht nur die Bäume aus, sondern manchmal auch die Menschen, oft ohne sich dessen bewusst zu sein. Eine klassische Situation ist die Unterhaltung im Restaurant, im Café oder einem ähnlichen öffentlichen Raum, bei dem man oft zwangsweise zum Empfänger von Botschaften wird, die man lieber nicht empfangen hätte. Die Frage ist, ob man dann selbst taktvoll bleibt und schweigt oder den Sender darauf aufmerksam macht, dass man a) das Gespräch ungewollt mithört und b) den Inhalt nicht goutiert.

Folgende Episode erlebte ich neulich bei einem Besuch in München: Auf der Terrasse eines belebten Restaurants im wunderschönen Nymphenburgpark lamentiert eine Dame mit einer durchdringend-schrillen Stimme lauthals darüber, dass früher in der DDR kein Mensch über den Rasen gegangen sei, aber man im Westen ja überhaupt keine Grenzen kenne. Vor der Terrasse ist in der Tat ein Rasen, auf dem Kinder tollen, was aber wohl auch so vorgesehen ist, denn weder ist ein Schild "Rasen betreten verboten" zu sehen noch gibt das Servicepersonal entsprechende Hinweise. Als der Begleiter der Dame zu diesem Thema süffisant schweigt, weil er vielleicht bemerkt hat, dass alle umliegenden Tische ungewollt an dem Gespräch teilhaben, fährt sie ihn an: "Hörst du mir überhaupt zu?" Ich kann es mir nicht verkneifen, mich umzudrehen und der Dame mindestens einen konsternierten Blick zuzuwerfen.

Rechts von uns sitzen zwei ältere Damen, die sich darüber unterhalten, welche Vorteile es hat, im Alter ohne Partner zu leben, weil einem so keiner dreinredet, keiner ständig meckert und kritisiert und sie diese Freiheit bei der Gestaltung ihres Lebens von Herzen geniessen, in der Hoffnung, jetzt mit 70 noch zehn schöne Jahre zu haben. Dieses leidenschaftliche Plädoyer für die Freiheit des Individuums hindert sie jedoch nicht daran, im nächsten Atemzug darin zu verfallen, alle Personen, die an der Terrasse vorbeigehen, zu begutachten: "Schau mal, was die für dicke Beine hat. Da kann man doch nicht so einen kurzen Rock tragen. Ob die keinen Spiegel zuhause hat?" Sie selbst sind deutlich übergewichtig, fahren aber fort mit Sentenzen wie: "Wenn man so dick ist, sollte man kein T-Shirt tragen. Die würde besser eine Bluse anziehen." Als ein muslimisches Paar über den Rasen schlendert, sagt die eine Dame: "Tja, bei denen müssen die Frauen ja immer mit Kopftuch und diesen langen Kleidern rumlaufen. Und drunter tragen sie dann gelbe Reizwäsche." Den Impuls, zu fragen, woher sie das denn um Himmels willen wisse, unterdrückte ich.

Ein weiterer Klassiker: Kinder im Restaurant. Dabei sind das Problem in der Regel nicht die Kinder, sondern die Eltern. Dass Zweijährige sich langweilen, während die Eltern im stilvollen Ambiente eines Wellnesshotels ein Fünf-Gang-Menü verspeisen, ist verständlich. Dass die Eltern ihre Kinder mit allerlei Spielzeug und lustiger Unterhaltung in einem Restaurant, wo die anderen Gästen nur gedämpft parlieren, raumfüllend unterhalten, weniger. Alle Anwesenden wissen nun, dass der kleine Leo gerne Ski fährt, Paul gerne Pizza Margarita isst und die Katze von Oma Lisa auch Lisa heisst. Wie drollig!
Soll man dem Impuls nachgeben und den begeisterten Eltern ganz ehrlich mitteilen, dass man die Begeisterung für ihre Kinder zwar durchaus versteht, an ihr aber nicht als abendfüllendes Programm teilhaben möchte, sondern in aller Ruhe das stilvolle Mahl im stilvollen Ambiente geniessen möchte?
Nein, soll man nicht, denn die verklärte Sicht des stolzen Elternpaares lässt sie die Wirklichkeit äusserst nur selektiv wahrnehmen, was postwendend dazu führen würde, dass der obengenannte dezente Hinweis als böswillige Attacke einer verbissenen Kinderhasserin quittiert würde.

Und noch ein drittes Beispiel für die Gratwanderung zwischen Ehrlichkeit und Taktgefühl bei der Kommunikation. Bei lockerer After-Dinner-Konversation an der Hotelbar kommt das Gespräch bei der weltbewegenden Frage an, ob Frauen immer jünger sein sollten als ihre Partner. Ein Gast äussert die unumstössliche Meinung, die Frau müsse drei bis vier Jahre jünger sein als der Mann. Der Barkeeper outet sich daraufhin als Ehemann einer Frau, die älter ist als er, was der Gast wiederum mit der wenig taktvollen Bemerkung quittiert, dass sie wohl mehr seine Mutter als seine Frau sei. Der Barkeeper holt zum Gegenschlag aus und wirft dem Gast vor, eine Spiesserbeziehung zu führen. Mit dieser ehrlichen Bemerkung lag er vermutlich faktisch goldrichtig und sie entsprach inhaltlich genau dem, was ich zwei Minuten vorher still vor mich gedacht hatte. Trotzdem stellt sich die Frage, ob hier - auch wegen der Beziehung Gast zu Dienstleistendem - Ehrlichkeit tatsächlich die eleganteste Reaktion ist. Ein augenzwinkernder Hinweis darauf, dass die Lebenserwartung von Frauen deutlich höher ist als die von Männern und es daher aus demographischen Gründen mehr Sinn macht, wenn Frauen jüngere Männer haben, hätte vermutlich die Beziehungsebene weniger belastet.

Fazit: Wenn mehr Menschen mehr Taktgefühl hätten, müsste man sich keine Gedanken dazu machen, ob man auf Taktlosigkeiten mit seiner ehrlichen Meinung reagiert. Als Grundregel gilt: Auf Taktlosigkeiten soll man nicht mit Taktlosigkeit reagieren, sondern selbst taktvoll bleiben.





Zurück